Was ich nicht erschaffen kann vermag ich nicht zu verstehen
„Entwicklungshilfe bringt garnichts, das ist nur rausgeschmissenes Geld.“

Die Lenkerin meiner Mitfahrgelegenheit, L., ist sich da sicher. Und sie müsse das ja wissen, immer­hin sei sie schon ein paarmal vor Ort in Süd- und Zentralamerika gewesen. Kumulierte zwei Jahre habe sie dort in „Projekten“ zugebracht, erfahre ich.

„Wenn man von all dem Geld mehr Drogen kaufen würde, dann wäre das Elend wenigstens bald vorbei.“

Das habe sie schon nach ihrem ersten Aufenthalt in den Slums von Asunción gewußt. Nach ei­nigen Sekunden Sendepause frage ich sie, warum Sie dann immer wiederkehrte. Nunja, sagt L. und kaut auf ihrer Unterlippe herum, sie bräuchte das als Egokick: bessere Projekte als andere zu machen, selbst wenn sie von der Folgenlosigkeit überzeugt sei.

„Weißt Du, manchmal finde ich mich selbst etwas seltsam.“

Komisch, den Eindruck hatte ich bisher garnicht – verkneife ich mir zu sagen und freue mich still über ein Autobahnschild, das mir das Ziel der Reise in dreißig Kilometern ankündigt.




Was schlagen Sie vor, Herr Energist, um gegen die Armut vorzugehen?

Ich kann garnichts vorschlagen, werte Brianna, dazu bin ich schlicht nicht kompetent genug. Mein Blick kann nicht über das Lokale Wirken hinausgehen, nicht über das, was ich bisher von Anderen gehört habe – nur klang das eben doch durchaus auch nach Erfolgen. Zumindest wenn man
– einen Brunnen, der ein Dorf mit sauberem Wasser versorgt,
– einen vollständigen Impfschutz für $Krankheit, der die Mortalität halbiert,
– Nahrungslieferungen und eine Filteranlage, die Ernteausfälle und verseuchtes Brunnenwasser kompensieren oder
– Zugang zu Schulen ohne Angst, auf dem Weg dahin wegen „der falschen Einstellung“ erschossen zu werden
als Erfolg werten kann. Es ist möglich, daß aufgrund von Effekten, die ich nicht überblicken kann, all das letzlich nichts hilft. Aber dann sei mir die Rückfrage erlaubt: was ist eigentlich das Ziel von Entwicklungshilfe? Kurzfristige Bekämpfung von Hunger und Armut? Langfristige Stabilisierung der Regionen? Beides?

Ein bisschen gesund-kritische Grundeinstellung gegenüber der eigenen Arbeit und deren Wert ist ja kein Übel, aber das? Und da sag noch einer, das seien alles Gutmenschen und Weltverbesserer.

Ich war deshalb so verwundert, verehrte Frau Damenwahl, weil die Madame tatsächlich nach Weltverbesserer aussah: sehr alternatives Auto, Palästinensertuch, Bio-Drink und generelle „Du bist o.k., ich bin o.k., laß' uns drüber reden“-Einstellung. Als sie das FSJ und die nachfolgenden Projekte erwähnte machte ich innerlich den letzten Haken an die Stereotyp-Checkliste. Und dann kam einfach unvorbereitet dieser Klopper.

Eine kritische Einstellung zur eigenen Arbeit, Bedeutung, überhaupt – das kann ja eigentlich nur gut sein. Viele Menschen machen stattdessen die wildesten Verrenkungen, um sich genau dieser Bewertung nicht stellen zu müssen. Man denke nur an Politiker, die immer genau wissen, daß sie „für die schweigende Mehrheit sprechen“ oder „gegen eine ganz starke Lobby kämpfen“, wenn Wahlen, Umfragen, Ergebnisse genau das Gegenteil andeuten.