Was ich nicht erschaffen kann vermag ich nicht zu verstehen
Samstag, 15. September 2012
Mit der Süddeutschen Zeitung kann ich nicht besonders viel anfangen. Im Gegenteil ver­meide ich es nach Möglichkeit, allzuviel mit ihr zu tun zu haben. Unlängst erwarb ich doch eine Ausgabe, da ich einen speziellen Artikel daraus benötigte. Meinen Vorsatz, das be­zahlte Blatt nun auch zu lesen, hielt ich keine fünf Minuten durch, so sehr war ich ver­ärgert ob der …



Aber halt, ich schweife ab. Was hier eigentlich stehen soll: unter all den Flußkieseln hat sich ein Goldnugget versteckt, über das ich gestern abend stolperte. In der Kolumne Die Ge­wis­sens­frage des Magazins der Süddeutschen Zeitung bespricht ein Philosophiedozent mora­lische Zwickmühlen, stellt ethische Grundsätze in einen Anwendungsbezug und gibt Ver­haltens­ratschläge. Dabei hangelt er sich oft an der historischen Behandlung dieser Problem­stellung bis in die Gegenwart und bramarbasiert dabei doch meist nur wenig. Und ob­wohl ich viele seiner Schlüsse nicht teile, begründet er so gut, daß es eine Freunde ist, sich nach Sichtung der Frage zuerst selbst eine Entscheidung zu erarbeiten und diese dann gegen seine Antwort zu prüfen. Das ein oder andere Mal muß man zähneknirschend eingestehen, nicht umsichtig genug bedacht zu haben.

Einen kleinen Seitenhieb muß ich doch noch austeilen: bei der einen oder anderen der Fra­gen scheint doch so etwas durch, besser: reflektiert über die Leser, warum ich die Zeitung nicht so gerne mag.
Bild: Stoa Kantiana in Kaliningrad, vom Künstler unter CC-BY-NC lizensiert.



Dienstag, 20. März 2012
„Kapitalismus ist organisiertes Verbrechen“ steht auf dem Transparent, das der DJ über seinen Turntables aufgehängt hat. Vor ihm ist sein Laptop aufgebaut. Den ziert ein Apfel.



Montag, 17. Oktober 2011

Tag 9 – Das erste Buch, das Du je gelesen hast

Bei uns daheim gab es eine Menge lustige und einige eher seltsame Kinderbücher. Aber allen zusammen haftete der Makel an, daß sie ganz klar erkennbar keine „echten Bücher“ waren. Echte Bücher waren das, was die Erwachsenen hatten, kleineres Format als die großen Kinder­bücher, keine Bilder und eine ernste, nicht simplifizierte Sprache.

Eines Tages, kurz vor Beginn der Weihnachtsferien in der ersten Klasse, beschloß ich daher jetzt auch zu den Erwachsenen zu gehören (das beschloß ich zu der Zeit häufiger). Zur Um­setzung des Beschlusses setzte ich mich auf die Fensterbank unseres Wohnzimmers – wegen der Heizung, auf der man seine Füße abstellen konnte und wegen des schönen Aus­blicks auf das Allgäu mein Lieblingsplatz – und las. Während der ersten Seite ließ die Be­geisterung über den neuen Status allerdings langsam nach und wich Ärger: das Buch verhielt sich garnicht so kooperativ wie ich mir das vorgestellt hatte. Ich verstand kaum ein Wort, selbst wenn ich die Buchstaben laut aussprach und aneinanderreihte. Dabei kam ich mir reichlich blöd vor, schließ­lich machten die Erwachsenen das auch nicht.

Blick von Ulm auf die Alpen

Etwas frustriert saß ich da nun – Aufzugeben kam natürlich nicht in Frage, aber Spaß mach­te das so auch keinen. Auf die Rettung stieß ich beim Durchblättern des Buches, das mich so ärgerte: Bilder! Da waren Abbildungen, sogar Tabellen und Fotos von irgendwelchen komi­schen Dingen. Es handelte sich also garnich um ein Buch für Erwachsene – damit war es kein Makel, wenn ich es nicht lesen konnte! Erleichtert legte ich den Band zurück auf den Stapel medizinischer Fachliteratur meines Vaters.

Am nächsten Tag setzte ich den Beschluß um, diesmal mit einem richtigen Erwachsenen­buch, ohne Bilder (nur eines auf dem Einband), mit vielen Seiten und – das war das beste – es kamen Indianer vor! Auch hier war das Lesen anfänglich etwas stockend, als die Schule jedoch wieder losging hatte ich das Buch durch. Und das danach. Und steckte mitten in einem weiteren. Ich war ganz klar schon völlig erwachsen.
Im Original vom 21. Oktober 2010. Bild von Pablo d’Angelo, lizensiert unter CC-BY-NC.