Was ich nicht erschaffen kann vermag ich nicht zu verstehen
Sonntag, 16. Oktober 2011
Sonntagmorgens rumpelt es über mir. Für eine derartige Rumpelei scheint es mir noch deut­lich zu früh – auch wenn die Sonne schon intensiv durch's Fenster strahlt, es zählt ja die empfundene Frühe. Also beschließe ich, jegliche Störung zu ignorieren und senke den Kopf wieder auf mein Kissen.

Indes, wer auch immer da über meinem Kopf Lärm schlägt, er denkt nicht daran, mir mei­nen Willen zu lassen: abermals rumpelt es laut und vernehmlich; in einem Film würden zur optischen Untermalung der akustischen Tortur jetzt kleine Teile von der Decke rieseln. Auch das probeweise um den Kopf gequetschte Kissen hilft nichts, an Schlafen ist nicht zu denken. Also steige ich in Jeans und T-Shirt, um dem Störer gehörig meine Meinung zu sagen.

Vor der Wohnungstür angekommen ist schnell klar, woher das Gerumpel kommt: auf halber Höhe hängt in der Wendeltreppe, die auf den Speicher führt, – ein Schreibtisch. Am unteren Ende stemmt sich ein kleiner Asiate dagegen und brüllt die Tischplatte an. Erst nach noch­maligem Hingucken erkenne ich am oberen Ende sein (noch kleineres) weibliches Gegen­stück, das sich verzweifelt an ein Bein klammert. Verwundert betrachte ich die Szenerie, lausche den chinesischen (?, Japanisch ist es jedenfalls nicht) Flüchen und kombiniere schließ­lich aus der offenen Türe gegenüber, daß es sich hier um meine neuen Nachbarn handelt.

„Hallo, kann ich euch helfen?“ frage ich und stelle mich – in aller Kürze – vor. Eine kurze athletische Einlage später kann ich der sichtlich erleichterten Dame den Tisch aus der Hand nehmen und mit dem nun nicht mehr fluchenden Herrn in deren Wohn-/Schlaf-/Esszimmer bringen. Kaum abgestellt, bedanken sich beide vieltausenmal und ich erfahre in Stereo in zwar gesungenem, aber doch gutem Deutsch, daß sie aus Vietnam kommen, hier studieren werden, er Informatik, sie Maschinenbau, der Tischtransport ohne mich unschaffbar ge­wesen und überhaupt alles hier eine sehr nette Nachbarschaft sei. Nein, antworte ich wahr­heitsgemäß, ich sei noch nie in Vietnam gewesen, habe das aber fest vor. Das ruft Jubel hervor und einen Streit, welche Route ich denn nun nehmen sollte und was ich – unbedingt! – mir unterwegs ansehen müßte. Um den Streit abzukürzen und vielleicht doch nochmal in mein Bett zurückkehren zu können, schlage ich vor, das abends bei einem Bierchen in meiner Küche zu klären und sich da besser kennenzulernen – ich würde sie herzlich einladen.



Stille. Die beiden Gesichter, die mich anstarren, bedeuten, daß ich gerade etwas sehr falsches gesagt habe. Meine Gedanken fangen an, zu rasen; habe ich die Gastfreundschaft verletzt weil ich gehen will, mit der Einladung Anstandsregeln gebrochen? Ich werde mit knappen Worten zur Tür geleitet.

Zurück in meiner Wohnung scheint mir die Verwirrung ins Gesicht geschrieben. „Die neuen Nachbarn sind komisch.“ sage ich auf den fragenden Blick und schalte die Kaffee­maschine ein. Ein Lachen ist die Antwort: „Dann passen sie ja wunderbar hier rein.“



Dienstag, 11. Oktober 2011
„Was mich betrifft, so gestehe ich offen, daß ich keine wie immer gearteten Neidkomplexe gegen irgendeine Gesellschaftsschicht, Kaste oder Berufssparte in mir trage – außer natürlich gegen Politiker. Schließlich haben wir alle genügend eigene Sorgen und dazu auch noch etliche unserer Mitmenschen.

Nachdem das geklärt ist, muss ich allerdings zugeben, daß immerhin eine kleine Gruppe von Leuten ein recht beneidenswertes Leben führt: die Amateurfunker. Sie formieren sich in kleinen Cliquen, irgendwo zwischen 1256 und 1270 Kilo-Hertz, und führen faszinierende Zwiegespräche, wie zum Beispiel das folgende:

‚Hallo! Hallo! Hier spricht Gamma-Null-Delta Doppel-Zwölf Westminster Niagara. Ich rufe Mikro-Zwo-Makro Intercom Rappaport. Ich wiederhole.‘ (Und genau das tut er.) ‚Bitte kommen. Bitte kom­men. Hier spricht Gamma-Null-Delta Doppel-Zwölf Westminster Niagara, bitte sprechen!‘

Worauf einige Bips und Bups zu vernehmen sind, gefolgt von der Antwort: ‚Hier spricht Mikro-Zwo-Makro Intercom Rappaport. Wie geht's Fritzi? Kannst Du mich gut hören? Mikro-Zwo-Makro Intercom Rappaport Ende.‘ ‚Hier spricht Gamma-Null-Delta Doppel-Zwölf Westminster Niagara. Ich kann Dich gut verstehen, aber mir kommt vor, dass der Frequenz-Converter von Deiner Drei-PLX Modulationseinheit eine leichte Rückkopplung hat. Gamma-Null-Delta Doppel-Zwölf Westminster Niagara Ende.‘ Zu diesem Zeitpunkt wird die Stimme von Mikro-Zwo-Makro bruechig und ist kaum noch zu verstehen: ‚Hier spricht Mikro-Zwo-Makro Intercom Rappaport Danke für den Tip, Freund, ich habe den frontalen Sende-Entzerrer auf Impuls F-Zwölf gestellt. Kannst Du mich jetzt besser hören, Fritzi? Mikro-Zwo-Makro Intercom Rappaport Ende.‘ ‚Hier spricht Gamma-Null-Delta Doppel-Zwölf Westminster Niagara. Dein Zykloston ist nicht richtig zentriert. Ausserdem glaube ich, das Dein Elektroden-Verwurtzler überheizt ist. Weisst Du was, ich komme mit dem Lötkolben runter. Gamma-Null-Delta …‘

Worauf Gamma-Null-Delta eine Treppe hinuntereilt, wo ihn Mikro-Zwo-Rappaport an der offenen Tür erwartet. Nachdem der Schaden behoben ist, begibt Fritzi sich wieder in das oberste Stockwerk, setzt sich an seinen Elektroden-Verwurtzler und beginnt wieder zu senden, Gamma-Null-Delta Doppel-Zwölf Westminster …

Das, liebe Freunde sind die einzigen Menschen in der Welt, die ich wirklich beneide.“

Ephraim Kishon † 29. Januar 2005



Mittwoch, 21. September 2011
Es gibt wenige Probleme, die nach einem Ofenkäse nicht bedeutend unwichtiger erscheinen.