Was ich nicht erschaffen kann vermag ich nicht zu verstehen
Mit der Zeit, wenn man einige Messen besucht und Fachzeitschriften abonniert hat, landet man auf der ein oder anderen Postliste. Das ist halb so wild, real life-Spam ist gegenüber solchem im elektronischen Postfach sowohl deutlich niveauvoller als auch kunden­orien­tierter. Die eine oder andere Perle findet sich dennoch.

Call for papers: Security+Defense

Möchte ich diese Messe wirklich besuchen? Oder dort gar vortragen? Eher nicht. Aber die dahinterstehende Frage ist eine, der fast jeder Ingenieur früher oder später be­gegnet: Will ich für die WaffenVerteidigungsindustrie arbeiten?

Dabei läßt sich das Problem nicht einfach darauf eingrenzen nicht bei Diehl, EADS oder ei­nem der anderen bekannten Hersteller anzuheuern. Über ein oder zwei Umwege läßt sich ein Großteil der modernen Technik dazu pervertieren, Menschen zu töten. Gut möglich, daß die nächste Generation cruise missiles ihre Ziele deshalb so genau findet, weil darin ein gewisses Bauteil seinen Dienst tut, das ich für einen ganz anderen Zweck entwickelte. Oder – noch abstrakter – weil jemand einen Artikel oder Aufsatz gelesen hat, den ich in ei­nem Fachblatt veröffentlichte und dieser Jemand so einen kreativen Gedanken aus meinem Kopf direkt verwendet, um die Tödlichkeit seiner Waffe zu steigern.

Es ist nicht bequem, die Problematik in ihrer ganzen Tiefe zu verstehen, noch unbequemer, sie zu beantworten. Eine zu radikale Absage würde jeden technischen Fortschritt auf einigen Gebieten unmöglich machen – es gilt abzuwägen. Zusätzlich wird man in all die Dilemmata gestürzt, die hinter der altbekannten Frage stecken: „Kann es moralisch richtige Kriege ge­ben?“ Die ein oder andere Stunde haben mich alle diese Fragen gekostet – immerhin weiß ich dafür heute, ob es meine Moralvorstellungen zuließen, die Security+Defence zu besuchen. Wenn ich dort denn etwas Interessantes für mich finden würde.




"Kann es moralisch richtige Kriege geben?" Die Romantikerin in mir hält es mit Astrid Lindgren:
Als Jonathan sich in "Die Brüder Löwenherz" weigert gegen seinen Feind das Schwert zu ziehen, muß er sich anhören "Wenn alle wären wie Jonathan, würde das Böse nie besiegt". Sein kleiner Bruder Krümel antwortet: "Wenn alle wären wie Jonathan würde es das Böse nicht geben".
Die Realistin in mir weiß leider Gottes, daß es so einfach nicht immer ist, und das ungeheurer Mut zur Gewaltlosigkeit gehört. Mut, den ich in letzter Konsequenz nicht hätte.

Ich glaube jede Antwort auf diese Frage ist so stark von unseren jeweiligen Assoziationen geprägt, daß sie nicht allgemeingültig ist. Ich kenne Beispiele für ungeheuren Mut sowohl von gewaltloser als auch von gewaltsamer Hilfe, so daß ich mich inzwischen damit abgefunden habe, daß ich nicht in der Lage bin, die Frage zu beantworten.