Was ich nicht erschaffen kann vermag ich nicht zu verstehen

Tag 24 – Ein Buch, von dem niemand gedacht hätte, daß Du es liest/gelesen hast

Aus reiner Langeweile nahm ich in noch recht jungen Jahren einmal die Bibel zur Hand und las. Langatmige Schilderungen geschichtlicher Vorgänge schreck­ten mich ebensowenig wie unerklärliche Wendungen des Plots oder göttliche Ein­griffe, immerhin hatte ich direkt vorher den Schwab verschlungen und mich auch an den Metamorphosen versucht. Vom Alten Tes­tament noch ansatzweise angetan verließ mich jedoch bei der dritten Wiederholung des Evan­geliums der Durchhaltewille und ich über­sprang alles Nachfolgende bis direkt zur Offen­barung, die zumindest wieder etwas frischen Wind (Apokalypse! Hure Babylon! Kampf Gut gegen Böse!) brachte.

Insgesamt war ich vom meistgelesenen Buch der Welt eher enttäuscht – zu wirr und ziellos die Handlung, zu lasch geschrieben. Dem Genre der Fantasyliteratur blieb ich dennoch treu, meine nächste Lektüre von J. R. R. Tolkien leistete sich diese Anfängerfehler nämlich nicht.


Im Jahr 2002 trat ich meinen Wehrdienst an. Die Anschläge von 9/11 lagen noch nicht weit zurück, die U. S. A. hatten eben Afghanistan eingenommen und hierzulande begann die seit­her nicht mehr verstummte Diskussion, ob der Islam eine Lehre der Gewalt ist oder dies nur von ein­zelnen Verrückten so propagiert wird, die die Religion gerne für ihre Zwecke miß­brauchen wol­len. In dieser Diskussion werden stets einer lange eingespielten Routine gleich Suren und Verse aus dem Koran zitiert und so belegt, daß jeder Muslim wahlweise ein poten­tieller Massenmörder oder die neue Mutter Teresa ist. Um für mich Licht in das Dunkel zu bringen (und weil man während diverser Wach- und UvD-Dienste recht wenig zu tun hat) besorgte ich mir eine Aus­gabe des Koran und las.

Umschlag eines Korans

Nach anfänglichen Schwierigkeiten findet man sich recht schnell in den fremdartig er­schei­nenden Schreibstil der Koranübersetzung hinein und kann den Inhalt flüssig lesen. Was man dort allerdings liest erscheint ebenso fremd: genau wie das Alte Testament (und vermutlich ebenso wie die Thora) gibt dieses Buch Zeugnis von jahrtausendalten Wert- und Moralvor­stellungen, die für jeden aufgeklärten Menschen der Moderne derart abstrakt erscheinen, daß man sie nur wahrnehmen, nicht aber verstehen kann.

Nach dieser ersten Lektüre habe ich den Koran nie wieder angerührt. Mein Interesse war völlig befriedigt und mich weiter mit den Inhalten auseinanderzusetzen – dafür konnte ich sie zu wenig ernst nehmen. Als Zeugen ihrer Zeit sind all diese Suren sicher­lich interessant, als Anklagepunkte oder Belege für latente Gewaltbereitschaft aller Muslime taugen sie nicht. Der Mensch kann an jeden beliebigen Blödsinn glauben, sich vorhandener Götzen bedienen oder neue erschaffen. Die Gedanken sind frei. Wenn jedoch die Entscheidung fällt, seine Überzeugungen mit Gewalt durchzusetzen, dann ist dafür ebenjener Mensch verantwortlich, nicht Glaube, eine übergeordnete Macht oder ein Buch.

Bild: Einband eines Koran, lizenziert unter CC, Quelle: Flickr.




Wie das mit Interpretationen und vor allem mit Projektionen nun mal so ist.