Was ich nicht erschaffen kann vermag ich nicht zu verstehen
Meiner bescheidenen Meinung nach ist es kaum möglich, angenehmer zu reisen, als per Bahn. Sicher, Fliegen gäbe es da noch … aber mit Anreise, Kontrollen, Check-in et cetera lohnt sich das erst ab einigen tausend Kilometern. Darunter kommt man recht verläßlich, häufig pünktlich und insgesamt sehr bequem von A nach B. Während der Fahrt ist keine Konzentration auf die Straße nötig, stattdessen Lesen, Arbeiten, Schlafen, ganz nach Gusto und Tagesform. Wenn es sich ergibt, kann man wunderbar mit Mitreisenden ins Gespräch kommen und interessante und weniger inter­essante Menschen kennenlernen – stellt sich auf den ersten Blick das Nicht­vor­handen­sein von Sympathie oder Kontaktbereitschaft heraus, besteht immernoch die Möglichkeit, sich in die höfliche Zurückgezogenheit zu verabschieden.

Durchaus, das ist nur eine Seite der Medaille: Die Preisgestaltung der Deutschen Bahn, nun­mehr Aktiengesellschaft, ist eine … nennen wir es „nicht immer verständliche“ Sache. Auch ist die Bahn nicht gerade dafür bekannt, ihre Pünktlichkeit in Sekunden zu messen. Letztlich: Mitreisende, für die Rücksichtnahme nicht auf der Prioritätenliste steht, können sehr un­angenehm sein.

IC-Abteil

Leider gibt es einen technischen Faktor, der diese Nachteile potenziert: den Großraumwagen. Hier dringt jedes schreiende Kind auch vom anderen Wagenende ungedämpft an das Ohr, hier unterhalten sich die Mitglieder fernreisender Fußballclubs wie auch die ebenso al­kohol­isierten Teilnehmerinnen jedes Junggesellinnenabschiedes über vier Sitzreihen, sodaß auch jeder andere Insasse über den bereits erreichten Alkoholpegel informiert ist. Die von der Bahn ausgerufenen „Ruhezonen“ ändern daran wenig – zu wenig kommen sie im Bewußtsein der Fahrgäste an.

Der fehlenden und manchmal schmerzlich vermißten Distanz steht paradoxerweise auch eine überwältigende Anonymität im Großraumwagen gegen­über. Statt in die Gesichter der Mit­reisenden starrt man auf lichtgraues Plastik, der Lebensraum wird auf 80 Zentimeter Sitz­abstand eingeschränkt. Die Kontaktaufnahme gestaltet sich schwieriger, höchstens im direkt­en Sitznachbarn findet man einen Gesprächspartner, und auch hier hängen die Hürden höher.

Als Refugium für Nostalgiker spendierte die Bahn auch den nicht unterteilten Wagen Vierer-Sitzgruppen mit einem Tisch, vier bis acht davon, je nach Bauart. Hier sitzt man sich gegen­über, ohne Tür, dafür mit einem Tisch und weniger Beinfreiheit. Ein schlech­ter Kompromiß, der dadurch nicht besser wird, daß an diesen Tischen die einzigen Steckdosen des ganzen Wagen verortet sind – mithin ist die Wahrscheinlichkeit hoch, daß man in einem Meer reise­koffergroßer Laptops verschwindet, auf denen lautstark aktuelle Kinofilme wiedergegeben werden.

Inzwischen ist es aber endgültig, daß das entspannte Reisen im Abteil langsam von der Bild­fläche verschwinden wird. So verständlich diese Entscheidung aus ökonomischen Gründen, so bedauerlich ist sie aus der Sicht des Passagiers.

Nächste Woche fahre ich nach Dresden. Selbstredend im Abteil.

Das Bild zeigt das überaus komfortable Abteil des InterCity. Die Photographie ist gemeinfrei.




Ich reise lieber Großraumwagen. Im Abteil fühle ich mich eingepfercht.

Im ICE geht es aber in der Regel doch gesittet zu - oder nicht? Die Szenen, von denen Sie berichten (Junggesellen, Kegelclubs, Fußballfans), erlebe ich nur in Regionalzügen. Gegen unleidliche Kinder, klingelnde Mobiltelefone und telefonierende Abteilungsleiter in Fernzügen helfen Kopfhörer und gute Musik. Dann klappt's auch mit der inneren Ruhe.

In dem Zusammenhang:
was wird eigentlich aus dem Abteil-ungsleiter?

@Nessy: Musik und Kopfhörer scheinen eine gute Kombination und funktionieren sicherlich, aber ich finde es grob unhöflich, jemandem gegenüberzusitzen und Kopfhörer anzulegen. Und wie erwähnt: ich sitze meist jemandem gegenüber.

Außerdem möchte ich ja garnicht unbedingt die gesamte Fahrt in Abgeschiedenheit zubringen – die Bahn ist doch ein schöner Ort, etwas kommunikativ zu sein. Man muß ja nicht gleich die gesamte Fahrt plappern, aber oft ergeben sich doch schöne oder interessante Gespräche.

Gesittetheit im ICE – hm, nein, das kann ich leider nicht bestätigen. Sicher, in den Fernreisezügen ist es schon deutlich weniger hektisch und laut, aber alle x Mal hat man doch Pech – und dann unterscheiden sich die Ausformungen kaum. Mein persönliches Highlight: eine Gruppe siegerländischer Hausfrauen auf dem Rückweg von einer SaufSightseeing-Tour in München.

Ein netter Schaffner erlaubte mir übrigens mal die Nutzung der ersten Klasse im überfüllten ICE. Dort ist es wirklich himmlisch ruhig, fast schon zu ruhig. Sehr zu empfehlen auch der Business-ICE von Brüssel nach Frankfurt. Irgendwannmal will ich eine BahnCard 100.

@Wilson: vermutlich muß er einfach in das Großraum-Büro umziehen. Möglicherweise droht dort aber aktuellen Bedarfs wegen eine Umschulung zum Konfliktschlichter und Integrationsbeauftragten für

Es gibt in ICEs auch in den normalen Sitzreihen Steckdosen.
In der Mitte unter den Sitzen.

Das, werte Brianna, ist eine Frage des Alters. In den älteren Generationen ist diese Steckdose m. W. n. nicht vorhanden. In den neueren hingegen – davon habe ich mich unlängst überzeugt – tatsächlich durchgängig.