Tag 4 – Dein Haßbuch
Ich habe es mir schon seit einiger Zeit abgewöhnt, zu hassen. Viele Dinge stören mich, manches mag ich nicht und auf dieser Welt wandeln neben lieben Menschen auch genügend Zeitgenossen, mit denen ich gerne weniger zu tun hätte. Aber Haß? Die Kapitulation von Ratio, Kultur, Moral vor negativer Emotionen, das muß man ja nicht auch noch kultivieren. Also abermals eine Umdeutung: aus den negativen Emotionen suche ich mir eine andere, vertrautere heraus. Enttäuschung.Kein Buch hat mich in den vergangenen Jahren mehr enttäuscht als die Erzählung „Der Luxusliner“ von Lothar-Günther Buchheim. Der Kauf auf einem Bücherflohmarkt und die ersten Seiten Lektüre waren noch von großer Euphorie begleitet, immerhin schätze ich frühere Werke dieses Autors sehr. „Die Festung“, das Monumentalwerk in dem Buchheim seine Flucht aus Brest durch die Wirren, die den Untergang Nazideutschlands begleiteten, beschreibt, las ich beinahe in einem Rutsch, trotz des Umfangs von 1500 Seiten. Viele empfinden die Schreibe Buchheims als techniküberladen und – gelinde gesagt – stinklangweilig. Für mich hingegen tritt wieder etwas in Kraft, was ich schon ähnlich zu Hemingway schrieb: diese Art zu Beobachten und zu Denken ist mit meiner „kompatibel“. Die Erzählungen (Buchheim schreibt in Ich-Form) daher umso greifbarer und realistischer.
Zum Buch selbst gibt es nicht viel zu sagen. Es beschreibt eine Reise mit der QE2, dem Kreuzfahrtschiff „Queen Elisabeth 2“ von Southampton nach New York. Aber all das, was in den alten Büchern auf phantastische Art funktionierte – eine immer wieder von Rückblicken des Antagonisten durchbrochene Handlung und lange Phasen, in denen nichts passiert und die Gedanken deshalb abzuschweifen beginnen – mißlingt hier massiv. Wehmütige Erinnerungen an alte Erlebnisse und Abenteuer, Hommagen an die „echte“ Seefahrt, die Werkzeuge, die Buchheim im „Boot“ und der „Festung“ wunderbar akzentuiert einsetzte, sie machen jetzt gefühlte 80% des Buchinhaltes aus. Die detailverliebte Schilderung von Nebensächlichkeiten, die bisher die Buchrealität geradezu greifbar machte, ist jetzt ohne Stütze, denn ausgleichende Handlung findet nicht statt.
„Der Luxusliner“ ist eines der wenigen Bücher, die ich nicht beendet habe.
Im Original vom 5. Oktober 2010
Tag 6 – Ein Buch, das Du nur einmal lesen kannst (egal, ob Du es hasst oder nicht)
Als Dankeschön für mein intensives Korrekturlesen seiner Diplomarbeit schenkte mir ein Bekannter aus tiefer Überzeugung heraus „Winning“ von Jack Welch. Der Ratgeber, geschrieben vom langjährigen CEO von General Electrics und seiner lovely wife, richtet sich wohl an jene, die gerne gewinnen. Oder gerne gewännen.Jedenfalls schlägt dem Leser eine unüberschaubare Wolke an business buzzwords und Binsenweisheite entgegen („Leaders make shure people not only see the vision, they live and breathe it.“) entgegen, die durch die Einbettung in „Jack’s distinctive no b.s. voice“ nicht wirklich besser ertragbar wird. Nach den ersten Seiten beschloß ich, das Buch dennoch zu Ende zu lesen und als Charakterstudie zu verstehen. Ich hielt durch, hatte dann aber endgültig genug davon. Dummerweise ist es auch schwer, das Ding unauffällig loszuwerden: wem soll man es guten Gewissens weiterverschenken?
Im Original vom 9. Oktober 2010
Mit einer Menge Geld hat man plötzlich Probleme, die man vorher nie hatte. Das vordringlichste (neben falschen Freunden, der bösen Kapitalertragssteuer und der Entscheidung, ob es heute nun der Porsche oder der Jaguar…) davon ist die Frage, wie ich all meine Reichtümer unterbringen soll.
Das bare Hartgeld ist es, das meinen Unmut erweckt: seit ich vor Jahren die große, hauptsächlich dicke Brieftasche zum Teufel jagte ist sein Platz in der fifth pocket, jener Tasche in der rechten Hosentasche, in die ursprünglich wohl eine Uhr gehörte. Meine tickt am Handgelenk, also ist dieser Platz für Euro- und Centstücke frei.
Diese allzusimple Lösung hat nur einen Gegner. Es ist ein namenloser Werbefachmann, der vor langer Zeit auf den Gedanken kam, Dinge dürften nicht eine Mark – nein, sie müßten neunundneunzig Pfennige kosten. Möglicherweise gibt es diesen Fachmann (oder diese Fachfrau) schon nicht mehr. Uns – und speziell mir – hat er (oder sie) jedoch ein gar fürchterliches Erbe hinterlassen: bei jeder finanziellen Interaktion mit der Umwelt, sei es der Monatseinkauf oder nur ein Häppchen für zwischendurch, gibt man eine große und erhält viele kleine Münzen.
Die Folgen sind fatal: binnen weniger Stunden bis Tage schwillt die harte Bargeldmenge in der Minitasche dergestalt an, daß man kaum noch hineingreifen kann. Zuhause wird die ganze Bescherung dann herausgekramt und begutachtet: Zwei- und Fünfcentstücke, ab und an blitzt ein gelber Zehner dazwischen. Sollten die strategischen Kupferreserven knapp werden weil die Chilenos den Hahn zudrehen: ich kann helfen. Ansonsten ist der Alltagswert jener Münzen aber doch eher… gering.
An zentralem Ort gesammelt warten daher massige Mengen minderwerter Münzen darauf, in einem Jutesack zur Bank getragen zu werden und virtualisiert auf dem Konto zu landen. Wenn da nicht… der bei scheinbar allen Banken neu gefundene Servicebegriff wäre, der sich ungefähr so äußert: statt die vielen Zentner Münzen einfach in den Schlund eines Zählautomaten zu kippenmußdarf der Kunde selbst sortieren. Spätestens, wenn das zweite Zählbrett gefüllt ist, wird vehement auf die Möglichkeit, Rollen von Münzen nach Farben sortiert abzugeben, hingewiesen. Diese Papiere sind übrigens keineswegs so stabil wie sie aussehen und wenn sie reißen… dann immer in der Rolle mit den meisten enthaltenen Münzen. Alternativ denen, die am besten unter das Inventar der Bank rollen.
Wie man es also wendet: die Situation ist unbefriedigend. Die Rettung aus der Not erfolgt durch die Deutsche Post.
Nun erwartet man ja von ehemaligen Staatsunternehmen nicht allzuviel. Wenn einmal eine Entschuldigung für den vorangegangenen Zugausfall erfolgt, hat man schon einen der besseren Tage erwischt. Der Postdienstleistungsautomat MWD 3 des bayerischen Herstellers Sielaff wartet jedoch nicht nur vor meiner Haustür auf mich; pro Briefmarke („Automaten-Postwertzeichen, APWz“) darf ich ihm 15, bei gutem Wetter auch mal 20 Einzelmünzen in den Rachen schmeißen.
Mithin ist dieser Automat vor meiner Tür also das perfekte Beispiel, wie Technik unser Leben lebenswerter machen kann: befreit von der drückenden Last der gesammelten Kupfermünzen kann ich vergnügter existieren; an jeder Kasse strahle ich die Kassiererin an, wenn diese beginnt, Wechselgeld zusammenzusuchen – weiß ich doch, daß nun bald wieder eine Karte oder ein Brief fällig wird, den ich jemandem schreiben kann.
Sicher, wenn man das nicht weiß, mag diese meine Begeisterung ob des lästigen Kleingelds unverständlich sein. Ob ich es morgen früh der Dame an der Kasse sagen soll? „Diese Freude, meine Liebe, dieses Lächeln“, werde ich ihr sagen, „das verdanken Sie ganz alleine dem Postdienstleistungsautomat MWD 3.“
Das bare Hartgeld ist es, das meinen Unmut erweckt: seit ich vor Jahren die große, hauptsächlich dicke Brieftasche zum Teufel jagte ist sein Platz in der fifth pocket, jener Tasche in der rechten Hosentasche, in die ursprünglich wohl eine Uhr gehörte. Meine tickt am Handgelenk, also ist dieser Platz für Euro- und Centstücke frei.
Diese allzusimple Lösung hat nur einen Gegner. Es ist ein namenloser Werbefachmann, der vor langer Zeit auf den Gedanken kam, Dinge dürften nicht eine Mark – nein, sie müßten neunundneunzig Pfennige kosten. Möglicherweise gibt es diesen Fachmann (oder diese Fachfrau) schon nicht mehr. Uns – und speziell mir – hat er (oder sie) jedoch ein gar fürchterliches Erbe hinterlassen: bei jeder finanziellen Interaktion mit der Umwelt, sei es der Monatseinkauf oder nur ein Häppchen für zwischendurch, gibt man eine große und erhält viele kleine Münzen.
Die Folgen sind fatal: binnen weniger Stunden bis Tage schwillt die harte Bargeldmenge in der Minitasche dergestalt an, daß man kaum noch hineingreifen kann. Zuhause wird die ganze Bescherung dann herausgekramt und begutachtet: Zwei- und Fünfcentstücke, ab und an blitzt ein gelber Zehner dazwischen. Sollten die strategischen Kupferreserven knapp werden weil die Chilenos den Hahn zudrehen: ich kann helfen. Ansonsten ist der Alltagswert jener Münzen aber doch eher… gering.
An zentralem Ort gesammelt warten daher massige Mengen minderwerter Münzen darauf, in einem Jutesack zur Bank getragen zu werden und virtualisiert auf dem Konto zu landen. Wenn da nicht… der bei scheinbar allen Banken neu gefundene Servicebegriff wäre, der sich ungefähr so äußert: statt die vielen Zentner Münzen einfach in den Schlund eines Zählautomaten zu kippen
Wie man es also wendet: die Situation ist unbefriedigend. Die Rettung aus der Not erfolgt durch die Deutsche Post.
Nun erwartet man ja von ehemaligen Staatsunternehmen nicht allzuviel. Wenn einmal eine Entschuldigung für den vorangegangenen Zugausfall erfolgt, hat man schon einen der besseren Tage erwischt. Der Postdienstleistungsautomat MWD 3 des bayerischen Herstellers Sielaff wartet jedoch nicht nur vor meiner Haustür auf mich; pro Briefmarke („Automaten-Postwertzeichen, APWz“) darf ich ihm 15, bei gutem Wetter auch mal 20 Einzelmünzen in den Rachen schmeißen.
Mithin ist dieser Automat vor meiner Tür also das perfekte Beispiel, wie Technik unser Leben lebenswerter machen kann: befreit von der drückenden Last der gesammelten Kupfermünzen kann ich vergnügter existieren; an jeder Kasse strahle ich die Kassiererin an, wenn diese beginnt, Wechselgeld zusammenzusuchen – weiß ich doch, daß nun bald wieder eine Karte oder ein Brief fällig wird, den ich jemandem schreiben kann.
Sicher, wenn man das nicht weiß, mag diese meine Begeisterung ob des lästigen Kleingelds unverständlich sein. Ob ich es morgen früh der Dame an der Kasse sagen soll? „Diese Freude, meine Liebe, dieses Lächeln“, werde ich ihr sagen, „das verdanken Sie ganz alleine dem Postdienstleistungsautomat MWD 3.“